geschrieben von Li Siying, fotografiert von Polina Aleshina

Am 3. Juni besuchte uns der chinesische Autor Zhou Yuyang im Seminar „Interkulturelles Lesergespräch“ und sprach mit uns über seine Arbeit, seine Erfahrungen und seine Sicht auf die Literatur. Im Mittelpunkt stand dabei sein Erzählband „招摇过海“ (wörtlich: mit Prunk und Pomp das Meer überqueren) sowie Fragen rund um das Verhältnis zwischen Literatur und gesellschaftlichen Entwicklungen, Generationen und internationalen Perspektiven.

Zu Beginn stellte Zhou Yuyang den Entstehungshintergrund seines Erzählbands „招摇过海“ vor, der aus acht Erzählungen besteht. Mit Ausnahme der Titelgeschichte „招摇过海“, die während der Isolation in der Pandemie entstanden ist, wurden alle sieben Texte in Cafés geschrieben. Ursprünglich hatte er nicht die Absicht, diese Erzählungen zu veröffentlichen – erst auf Initiative eines Verlags hin wurden sie zu einem Band zusammengefasst, der dann glücklicherweise erfolgreich wurde.

Angesichts der Entstehung der Titelgeschichte während der Pandemie kam die Frage auf, wie gesellschaftliche Ereignisse das literarische Schreiben beeinflussen. Zhou betonte, dass Literatur oft mit einem gewissen zeitlichen Abstand auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiere – das sei einerseits eine Schwäche, andererseits auch Teil ihres Wesens. Politische Diskurse könne zudem die literarische Ausdruckskraft stören. Besonders spannend wird dieser Punkt im Vergleich mit unserem zweiten Gastautor Adrian Pourviseh, der durch eine ganz andere narrative Herangehensweise eben jenes Spannungsfeld zwischen Politik und Literatur auslotet. Wir freuen uns schon auf den weiteren Austausch zwischen den beiden.

Ein weiteres Gesprächsthema war das Verhältnis zwischen jungen und älteren Autor:innen in China. Es gebe aktuell keine klare literarische Traditionslinie zwischen den Generationen, so Zhou. Während ältere Autor:innen häufig in der sogenannten Native-Soil-Literatur verwurzelt seien, die sich mit dem spezifischen Leben und den Nöten ländlicher Regionen in China auseinandersetzt, habe sich die junge Generation davon deutlich entfernt und thematisiert stattdessen Mobilität, Wandel und Zukunft – nicht aus Ablehnung, sondern weil sie in einer anderen gesellschaftlichen Realität aufgewachsen ist. Gleichzeitig versuchten auch viele ältere Autor:innen, sich den Themen und Formen der jungen Generation anzunähern.

In Bezug auf internationalen Austausch bedauert Zhou etwas, dass es bislang noch nicht viele direkte Verbindungen zwischen jungen chinesischen und internationalen Autor:innen gebe. Umso mehr schätze er es, bei Programmen wie der Residenz Kulturen in Kontakt – Artists in Residence und der Veranstaltung Interkulturelles Lesergespräch zu erfahren, womit sich junge Autor:innen in anderen Teilen der Welt beschäftigen.

Auf die Frage, wie man als Autor mit den Erwartungen des Publikums umgeht, antwortete Zhou sehr klar: Die eigene literarische Stimme stehe für ihn an erster Stelle. Gute Literatur finde ihr Publikum. Stilmittel wie fantastische Elemente seien für ihn Werkzeuge, keine Ziele an sich. Entscheidend sei immer, was man sagen möchte, nicht wie auffällig man es gestaltet.

Das Gespräch mit Zhou Yuyang bot wertvolle Einblicke in die Perspektiven eines jungen Autors, der sich zwischen persönlichem Ausdruck, gesellschaftlichem Wandel und globaler Neugier positioniert – ein Austausch, der zum Weiterdenken anregt und Lust auf mehr literarische Begegnungen macht. Wenn die oben genannten Themen dein Interesse geweckt haben – wunderbar! Wir freuen uns, wenn du unsere Beiträge weiterverfolgst und am 1. Juli an unserem Lesergespräch teilnimmst.