Ein Lesergespräch ist mehr als nur „über das Gelesene sprechen“: Es ist ein gemeinsames Nachdenken, Fragenstellen und Verstehen.
Die Abteilung Interkulturelle Germanistik lädt mit voller Freude zum diesjährigen interkulturellen Lesergespräch zum Thema Fliehen und Flucht ein. Am Dienstag, den 1. Juli 2025, ist der Autor Zhou Yuyang und der Graphic Novel Artist Adrian Pourviseh zu Gast in der Galerie Alte Feuerwache, Ritterplan 4 (Göttingen). Die Veranstaltung beginnt um 19:30 Uhr und findet gedolmetscht auf Deutsch und Chinesisch statt. Der Eintritt ist frei.
Zhou Yuyangs Erzählband „招摇过海“ (wörtlich: mit Prunk und Pomp das Meer überqueren, 2023) versammelt acht Geschichten über das Entkommen aus sozialer Enge, seelischer Gewalt, gesellschaftlichem Erwartungsdruck. Adrian Pourvisehs Comicroman „Das Schimmern der See“ basiert auf seinen Erfahrungen als Seenotretter auf dem Mittelmeer und eröffnet einen politischen und gesellschaftlichen Blick auf das Thema. Das Lesergespräch bringt also zwei sehr unterschiedliche, aber thematisch verbundene Perspektiven zusammen: Zhou Yuyang nähert sich dem Thema auf poetisch-reflektierende Weise in Form fiktionalen Erzählens, wohingegen Adrian Pourviseh dokumentarisch und visuell aus persönlicher Erfahrung berichtet. Ergänzt werden die Perspektiven durch doppelte Übersetzungen: Die Masterstudierenden der Interkulturellen Germanistik übersetzen die chinesischen Erzählungen in Ausschnitten und – begleitet von der Literaturübersetzerin Karin Betz – ins Deutsche und – unter der Anleitung von Adrian Pourviseh – in Bilder.
In dem gedolmetschten Gespräch sprechen die Autoren über ihre Motive, Erzählformen und darüber, wie man die Kontexte der Flucht und das Fliehen selbst sichtbar machen kann. Die unterschiedlichen Zugänge zu biografisch geprägter Literatur, gesellschaftlich-politischen Realitäten und erzählerischer Verantwortung laden das Publikum ein im Gespräch neue Perspektiven zu entwickeln.
Zhou Yuyang, geboren 1996 in Suzhou (Jiangsu), gehört in China zu den spannendsten neuen Stimmen der Gegenwartsliteratur. Ein thematischer Schwerpunkt liegt auf der Flucht vor dem Schicksal oder der Einsamkeit, nicht selten als Folge von Generationskonflikten und Geschlechterbeziehungen. Zhou Yuyang knüpft dabei an die chinesische Erzähltradition des „传奇“ (chuánqí) an, die für ihre überzeitlichen und irrealen Erzählwelten berühmt ist und dabei Historisches mit Fantastischem und Übernatürlichem verwebt. Indem er diese Elemente mit Themen wie Flucht, Einsamkeit und gesellschaftlichen Konflikten verknüpft, verleiht er der Erzähltradition eine zeitgenössische Stimme und öffnet sie somit für neue gesellschaftliche Visionen.
Adrian Pourviseh, geboren 1995 in Koblenz, verbindet in seinem Comicroman politische Realität mit künstlerischem Ausdruck. 2019 ging er als Dolmetscher und Fotograf auf die Sea-Watch 3 und half als freiwilliger Seenotretter auf der Insel Lesbos in Griechenland. Seine Erlebnisse und Erfahrungen hielt er in illustrierten Tagebucheinträgen fest, die im Frankfurter Weltkulturen Museum veröffentlicht wurden und als Vorlage für seine eindrucksvolle Graphic Novel „Das Schimmern der See“ dienten.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Residenzprogramms „Kulturen im Kontakt – Artists in Residence“ in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut China, mit der Germanistikabteilung der Universität Nanjing und mit dem Deutsch-chinesisches Institut für Interkulturelle Germanistik und Kulturvergleich der Universität Göttingen statt. Das Projekt setzt sich für die Literatur- und Kulturvermittlung zwischen deutschen und chinesischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein. Durch wechselseitige Residenzen bietet es die Möglichkeit, auch mit Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen.