von Annalena Urbanczyk

Am 3. Februar 2023 hatten wir die Gelegenheit, YANG Ruilu, eine Absolventin des Double Degrees Interkulturelle Germanistik Deutschland-China, Jahrgang 2010, kennenzulernen.

Hierbei bekamen wir nicht nur einen Eindruck von ihrem beeindruckenden beruflichen Lebenslauf, wir erhielten auch Einblicke in ein Leben voller Zufälle und Überraschungen.

Yang Ruilu arbeitet derzeit als Dozentin für Deutsch am Jesie-Goethe Sprachlernzentrum in Nanjing und als freie Dolmetscherin für Deutsch, Englisch und Chinesisch im Bereich der Psychotherapie. Dies klingt auch deswegen sehr beeindruckend, weil beide Jobs zahlreiche Qualifikationen und diverse Hard- und Softskills auf unterschiedlichen Ebenen verlangen.

Wirft man einen Blick auf ihre berufliche Vergangenheit, erscheint ihr jetziges Berufsfeld der Psychotherapie ein wenig fremd; tatsächlich ist es jedoch mit einigen ihrer vorherigen Tätigkeitsfeldern eng verknüpft.

Wie es dazu kam, erzählt Yang Ruilu in diesem Alumni-Talk.

Ruilu liest gerne. Aus diesem Grund beschloss sie in einer Berufsbranche Fuß zu fassen, in der das Lesen zum beruflichen Alltag gehört. Sie entschied sich während ihrer Studienzeit für ein Praktikum bei dem Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Die Verlagsarbeit versetzte sie in die Lage, wertvolle Kontakte zu knüpfen. Nach ihrem erfolgreichen Masterabschluss arbeitete die Absolventin zunächst als Lehrkraft und Prüferin am Jesie-Goethe Sprachlernzentrum in Nanjing. Dort boten ihr Fortbildungen und Traineeprogramme die Möglichkeit, sich für die speziellen Anforderungen an den kommunikativen Sprachunterricht zu qualifizieren. Seither ist sie dort als Lehrende und Prüferin tätig. Der Sprachunterricht an einer privaten Schule war eine sehr herausfordernde Aufgabe, sehr intensiv und anspruchsvoll, jedoch betont sie, dass sie mithilfe ihrer Schüler*innen den Umgang mit dem „Fremden“ erlernen konnte. Hilfreich waren dafür auch die Erfahrungen an einer deutschen Grundschule in Göttingen, in der sie im Rahmen des Studienschwerpunkts Bildungs- und Wissenskulturen hospitieren konnte. In dieser Zeit hat sie sehr viel über die prägende Kraft schulischer Bildung erfahren und wie „Deutsche zu Deutschen“ werden, wie sie das mit einem Augenzwinkern kommentierte.

Später war sie in der Personalabteilung eines Unternehmens als Referentin und schließlich als Assistentin tätig.

„Mein Leben ist sehr flexibel.“

Ohne Frage verhalf ihr diese Flexibilität und Spontanität zu diversen Jobchancen und wertvollen Berufserfahrungen.

Zu ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin und Übersetzerin kam sie tatsächlich dank ihrer Kontakte, die sie während ihres Praktikums in Göttingen schließen konnte. Als nach einer Dolmetscherin im Bereich der Psychotherapie gesucht wurde, fragte man bei Ruilu an und sie entschied sich für die ersten Schritte auf diesem Berufsweg. Psychotherapie war für Ruilu Neuland. So recherchierte sie eigenständig in Deutsch und Chinesisch, um möglichst genaue Übersetzungen finden zu können. Mittlerweile professionalisiert sie ihre Übersetzungsfähigkeiten gezielt im Bereich der Psychotherapie.

„Es ist nie zu spät, etwas Neues auszuprobieren.“

So arbeitet sie neben ihrer Dolmetscher-Karriere als Übersetzerin für Verlage, die Bücher im psychotherapeutischen Kontext veröffentlichen, und findet so zu ihrem Einstiegsimpuls, der Liebe zu Büchern, zurück.

Dolmetschen besteht aus einer komplexen Vermittlungsleistung. So erzählt Yang Ruilu aus ihrer 10jährigen Berufserfahrung, dass diese Vermittlungskompetenz erst angeeignet werden muss. Sie berichtet von einem Gespräch mit Psychotherapeuten, das ihr die kulturellen Unterschiede noch einmal verdeutlichte, aber auch die individuelle Vermittlungsleistung. Im Gespräch fiel der Satz „Meine Mutter hat mich verlassen.“ Das war in der konkreten Gesprächssituation nicht eindeutig zu verstehen und erzeugte Rückfragen: War es ein freiwilliges oder ein unfreiwilliges Verlassen? Erst aus der Rückfragesituation zwischen Therapeuten, Dolmetscherin und Patient*in hat sich ein einfühlsames Gespräch darüber ergeben, was der Tod der Mutter bedeutet hat. Diese Rückfragen veranschaulichten Ruilu, dass Wörter je nach Kontext eine unterschiedliche Bedeutung erhalten können und nach den jeweiligen Gegebenheiten bewertet werden müssen. Sie zeigen jedoch auch, dass Übersetzen ein Kommunikationsprozess ist und eine wichtige Funktion für das Verstehen hat.

Besonders spannend ist der Aspekt, dass Dolmetscher*innen ein umfassendes Sprachgefühl entwickeln. So sind sie in der Lage Situationen, in denen eine unbekannte Fremdsprache gesprochen wird, beurteilen zu können. Verbale Kommunikation ist schließlich nur eine Ebene menschlicher Kommunikation.

„Es war eine intensive Erfahrung.“

In Bezug auf ihr Studium berichtet sie nur Positives.

Sie erinnert sich daran, dass ihr das Studium dazu verholfen hat, Fähigkeiten zu erwerben, welche sie auf ihren Berufsweg gut vorbereitet haben. Besonders relevante Kompetenzen sind das wissenschaftliche Training, das Formulieren, Produzieren, Recherchieren sowie das kritische Denken. Aber auch die Zusammenarbeit mit ihren (deutschen) Kommiliton*innen verhalf ihr zu interkulturellen Kompetenzen, wodurch sich ihr neue Perspektiven auf unterschiedliche Kulturen eröffnet haben. Diese „Weltbürger-Perspektive“, wie sie es nennt, prägt sie bis heute.

„Der Weg wird schon der richtige sein.“

Das Leben ist ein unbekannter Weg mit Hügeln, Bergen und Tälern. Man weiß nicht, was auf einen zukommt. So spricht die Alumna auch darüber, dass man das, was man gerade macht, mit vollem Herzen tun soll.

Der Alumni-Talk mit Yang Ruilu erinnert uns daran, dass die Realität und das Leben selbst oft nicht so verlaufen wie geplant oder erhofft. Dabei gehören Überraschungen und herausfordernde Situationen zu den Dingen, die das Leben ausmachen. Lässt man sich auf sie ein, wird aus ihnen ein (Berufs)Weg.

Wir bedanken uns herzlich bei Yang Ruilu für dieses augenöffnende und motivierende Gespräch und wünschen ihr nur das Beste für die Zukunft.