Ludwig van Beethoven sprach einst: „Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig. Aber ohne Leidenschaft zu spielen ist unverzeihlich.“ Genau das gilt auch für die 1990 in Nanjing geborene Wen Fangyi (温方伊wēn fāng yī), die heute ohne ihre Leidenschaft keine bekannte Dramaturgin wäre. Obwohl sie die Gaokao (chinesisches Abitur) nicht abgelegt hat, begann sie trotzdem an der Nanjing University mit dem Studium der Literatur für Drama, Film & Fernsehen. Möglich wurde das dank einer neuen Aufnahmeprüfung, die die Studierenden nicht aufgrund ihrer Noten testete, sondern begabte Talente für Dramaturgie finden sollte. Wen Fangyis Vater schlug ihr damals vor, es einfach zu probieren und: es funktionierte.

Ihr Theaterstück Das Gesicht von Chiang Kai-Shek (蒋公的面子 jiǎng gōng de miàn zi) war ursprünglich eine Hausarbeit im dritten Studienjahr, welche sie im Rahmen des 110-jährigen Jubiläums der Universität verfasste. Der betreuende Professor Lü Xiaoping (吕效平 lǚ xiào píng) beauftragte sie damals, ein Stück zu schreiben, das auf der Legende von Chiang Kai-Shek, dem Präsidenten der Republik China, basiert und schätzte ebenjenes sehr. Er befand: „Unter allen eingereichten Arbeiten zum gleichen Thema ist ihr Text der am besten ausgeführte.“ (在所有同题作业中,温方伊是完成得最好的 zài suǒ yǒu tóng tí zuò yè zhōng, wēn fāng yī shì wán chéng dé zuì hǎo de). Wen Fangyi orientierte sich an der Technik (oder Erzählstrategie) von zwei anderen Stücken, namentlich Copenhagen von Michael Frayn und Art von Yasmina Reza. Dort gibt es nur drei Hauptfiguren, zwischen denen mehrere Gespräche stattfinden. In ihrer Komödie sind das Shi Rendao, Xia Xiaoshan sowie Bian Congzhou. Wen Fangyis Lieblingsfigur ist Xia Xiaoshan, über dessen ,Kultstatus‘ wird insbesondere während des kommenden Interviews mit der Autorin noch zu sprechen sein. Im Mai 2012 wurde das Stück von Dozierenden und Studierenden nach nur 15-tägiger Probezeit anlässlich der Jubiläumsfeier der Universität Nanjing uraufgeführt. Wen Fangyi schlüpfte gleich in mehrere Rollen – sie war gleichzeitig Ticketkassiererin, Theaterführerin und Schauspielerin und beeindruckte ihr Publikum dadurch sehr. Die starke Resonanz führte zu mehr als 30 aufeinanderfolgenden Aufführungen auf dem Campus sowie einer öffentlichen Aufführung außerhalb im Dezember 2012 mit anschließender nationaler Tournee im Jahr 2013. Kurz darauf wurde Das Gesicht von Chiang Kai-Shek als bestes Drama mit dem „Zi Jin-Star of People’s Literature Award“ ausgezeichnet, wobei es bis dahin sowohl in China als auch in den USA über 300mal aufgeführt worden ist. Zur selben Zeit machte Wen Fangyi ihren BA-Abschluss. Heute ist sie Doktorandin an der Universität Nanjing mit dem Forschungsschwerpunkt Kantonesische Oper (粤剧 yuè jù). 2021 geht das Stück bereits in das neunte Aufführungsjahr, es wird in zahlreichen chinesischen Theatern gespielt.

Obwohl eine Komödie natürlicherweise etwas Dramatisches besitzt, liegt ‚das Drama‘ selbst weit entfernt von Wen Fangyi. Aufgewachsen in einer glücklichen Familie und ohne Schwierigkeiten bei Prüfungen ist sie ein zuversichtlicher und optimistischer Mensch. Auf die Frage, woher sie ihre Inspiration nimmt, meinte sie, dass sie schon immer viel gelesen habe – Lesen sei sehr hilfreich beim Schreiben eines Stücks.